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Wien, im Dezember 2017
Neue Kartellregeln erleichtern Schadenersatzklagen
Durch die am 1.5.2017 erlassene Novelle zum Kartellgesetz und Wettbewerbsgesetz setzte der österreichische Gesetzgeber, wenn auch etwas verspätet, die EU-Richtlinie zur Erleichterung von Schadenersatzklagen bei Kartellverstößen in das österreichische Recht um. Primäres Ziel der Richtlinie war es, die rechtlichen Rahmenbedingungen in den EU-Mitgliedstaaten zur Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen wegen Kartellrechtsverstößen zu schaffen, dies auch um dadurch die Motivation für Unternehmer herabzusetzen, sich an Kartellen oder anderen Wettbewerbsverstößen zu beteiligen.

Weitgehende Haftung für Schäden. Mit den neuen Regelungen wird gesetzlich klargestellt, dass Unternehmen, die schuldhaft (auch fahrlässig) eine Verletzung des Wettbewerbsrechts begehen (zB durch Bildung eines Kartells oder sonstigen Verstoß des Kartellrechts), jedem Geschädigten zum Ersatz des dadurch verursachten Schadens verpflichtetet sind.
 
Schadensvermutung. Sobald ein Kartell zB durch ein behördliches Verfahren einer Wettbewerbsbehörde festgestellt wurde, wird vorerst ohne weiteren Nachweis davon ausgegangen, dass dadurch auch ein Schaden verursacht wurde. Die Kartellanten dürfen aber immerhin den schwierigen Gegenbeweis erbringen, dass dem Kläger gar kein Schaden entstanden ist. Diese Schadensvermutung stellt natürlich aus Sicht eines Geschädigten eine erhebliche Erleichterung für Schadenersatzklagen dar, weil es dadurch zu einer Verlagerung der Beweislast auf den/die beklagten Kartellanten kommt.
 
Entgangener Gewinn. Ferner statuiert nun das Gesetz, dass der Geschädigte in Klagen nach dem Kartellgesetz nicht nur den im bestehenden Vermögen nachweisbaren („positiven“) Schaden verlangen kann, sondern in jedem Fall auch noch darüber hinaus den „entgangenen Gewinn“. Dieser Schaden kann dagegen im allgemeinen Schadenersatzrecht außerhalb des Kartellrechts nur in Sonderfällen abhängig vom Grad des Verschuldens oder gegenüber Vertragspartnern zugesprochen werden.
 
Erweiterte Haftung für Zinsen. Zusätzlich haften die Kartellanten den Geschädigten für die Zinsen (§ 1333 ABGB) bereits ab Eintritt des Schadens, daher aufgrund der  gesetzlichen Vermutung ab Beginn der Rechtsverletzung und nicht erst ab Geltendmachung der Forderung, wie im allgemeinen Schadenersatzrecht. Diese Regelung kann zu einem erheblichen finanziellen Betrag führen, weil die Verletzung des Kartellrechts und damit der vermutete Eintritt eines Schadens sehr häufig bereits wesentlich früher eingetreten ist, als die Geschädigten überhaupt das Vorliegen eines Kartells und daher einen möglichen Schaden bemerken konnten.
 
Solidarische Haftung aller Kartellanten. Bei gemeinschaftlichen Wettbewerbsverletzungen durch mehrere Kartellanten haften diese nach der Novelle auch gemeinschaftlich (solidarisch), dh jeder Kartellant ist für den vollen Schaden inklusive entgangener Gewinn und Zinsen haftbar und kann auch dann geklagt werden, wenn er nicht Vertragspartner des geschädigten Klägers war. Der Geschädigte hat also die Wahl unter mehreren an der Rechtsverletzung Beteiligten oder kann auch mehrere Schädiger gleichzeitig klagen, was vor allem in der Praxis wichtig sein kann, wenn der ursprüngliche Vertragspartner oder Lieferant insolvent sein sollte. Von dieser solidarischen Haftung sind allerdings gewisse Unternehmen ausgenommen, nämlich KMU’s mit geringen Marktanteilen, die beim Kartell eine untergeordnete Rolle  gespielt haben und keine Wiederholungstäter sind, sowie Kronzeugen, also Kartellanten, die mit der Wettbewerbsbehörde kooperiert und so geholfen haben, ein geheimes Kartell aufzudecken. Diese Kartellanten haften grundsätzlich nur gegenüber ihren unmittelbaren und mittelbaren Abnehmern und Lieferanten für Schaden und Zinsen.
 
Vermutung der Schadensüberwälzung. Für das Kartellrecht von großer praktischer Bedeutung sind die veränderten Beweisregeln für  “passing-on-Schäden”, also Schäden wegen Preiserhöhungen, die vom unmittelbaren Abnehmer zumindest teilweise an die nächste Handelsstufe, also mittelbaren Abnehmer des Schädigers weitergeben werden. Nunmehr wird vermutet, dass es zu einer Überwälzung des Schadens (kartellbedingt überhöhter Preis) vom unmittelbaren auf den mittelbaren Abnehmer kam, wenn der mittelbare Abnehmer nachweisen kann, dass die Wettbewerbsverletzung vom Schädiger begangen wurde, zweitens diese für den unmittelbaren Abnehmer zu einem Preisaufschlag geführt hat und drittens der mittelbare Abnehmer auch solche preislich erhöhten Waren oder Dienstleistungen erworben hat. Dies nutzt einerseits dem mittelbaren Abnehmer bei einer Klage als Angriffswaffe zum Nachweis seines (mittelbaren) Schadens, andererseits kann dies auch vom beklagten Kartellant als Verteidigungsinstrument („passing-on-defense“) verwendet werden, weil dieser seinem unmittelbaren Abnehmer in dessen Klage einwenden kann, dass bei ihm gar kein Schaden eingetreten sei, weil dieser den kartellbedingt überhöhten Preis ohnehin an seinen Abnehmer (somit den mittelbaren Abnehmer) überwälzen konnte.
 
Offenlegungspflichten. Im Rahmen einer Schadenersatzklage kann zukünftig das Gericht den geklagten Kartellanten, den Wettbewerbsbehörden oder einem Dritten auftragen, gewisse Beweismittel offenzulegen, in einem Umfang, der das allgemeine Schadenersatzrecht bei weitem übersteigt.  Hier ist aber vom Gericht auch eine Interessenabwägung im Hinblick auf vertrauliche Informationen zB Geschäftsgeheimnisse vorzunehmen. Kronzeugenerklärungen sind allerdings stets vor Offenlegung geschützt.
 
Weitere Sonderbestimmungen. Die Novelle trifft noch weitere Regeln für die Verjährung, insbesondere tritt in bestimmten Fällen eine Hemmung der Verjährungsfristen ein, solange behördliche Verfahren gegen die Kartellanten laufen. Bei Hausdurchsuchungen hat die Wettbewerbsbehörde nun stärkere Befugnisse, auch um auf elektronische Daten zugreifen zu können. Ferner wird durch die Pflicht zur Veröffentlichung von Entscheidungen des Kartellgerichts die Transparenz und damit die Möglichkeit für Klagen erhöht.
 
Fazit. Die neuen Regeln erleichtern die Klagen auf Schadenersatz wegen Verstößen gegen das Kartellrecht dramatisch. Vor allem in Fällen, in welchen die Kartellbehörden bereits ein Kartell festgestellt haben, wird eine wesentliche Erhöhung von Schadenersatzklagen zu beobachten sein.
 
Dr. Bernhard Girsch, LL.M.

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